Der Gutmensch

21.08.2024 / Oliver Wittwer / PDF

GesellschaftUnterscheidungsvermögenMotivation

Ein Gutmensch ist ein Mensch, der um jeden Preis in den Augen der Mehrheit als "gut" und "korrekt" erscheinen möchte. So neigt er dazu, unreflektiert alle Ansichten aus den Medien, der Politik und aus seinem Umfeld zu übernehmen, um ja nicht anzuecken oder negativ aufzufallen. Denn das wäre für ihn das Schlimmste, bezieht er doch die Bestätigung für die "Richtigkeit" seiner Existenz ausschliesslich von der Bestätigung der Menschen in seinem Umfeld. Seine "Ansichten" begründet er damit, dass "es so richtig ist", dass es "so sein muss", dass "man so denken müsse" und so fort.

Woher seine Überzeugungen und Meinungen tatsächlich kommen und wie sie Eingang in seinen Geist erhalten haben, darüber hat er sich noch nie Gedanken gemacht. Entsprechend dünn werden seine Argumente, wenn man ihn danach fragt. Meistens sind die Argumente dann fast eine eins-zu-eins-Wiederholung von Aussagen aus den Medien oder von den durch sie präsentierten Experten.

Und da er sich strickt an der Mehrheitsmeinung - dem Mainstream - orientiert, muss er sicherstellen, dass die Mehrheit auch Mehrheit bleibt, zumindest in seiner eher kleinen Welt. So scheut er nicht davor zurück, "selber Hand anzulegen" und mehr oder weniger aggressiv, oder auch subtil, seine Mitmenschen zurückzupfeifen, wenn sie die Zäunchen der Meinungsmacher nicht respektieren und es auch nur zu versuchen wagen, ausserhalb zu grasen und sich eine eigene oder zumindest andere Meinung zu bilden.

Gutmenschen sind tolerant, wenn sie in ihren Mitmenschen ebenfalls einen Gutmenschen - also ein Mitschäfchen - erkennen. Dieses kann durchaus auch bunt angemalt sein, solange es ein braves Schäfchen ist, das sich innerhalb der von der Mehrheit gesetzten Grenzen bewegt.

Doch sobald ein Mitschäfchen den Versuch wagt, seine wahre Löwennatur zu entdecken und zu erkennen, dann ist es mit der Toleranz schlagartig vorbei. Und auch in so einem Fall wird das Verhalten vorbildlich von "oben" vorexerziert. Dafür wurde auch gleich das passende Vokabular zur Verfügung gestellt und in den Medien endlos wiederholt. Auf die Nennung dieses Vokabulars verzichte ich an dieser Stelle.

Ein Gutmensch in diesem Sinne ist wie ein braver und treuer Soldat, der immer bereit ist, seine geliebte und bequeme Welt der Normalität zu verteidigen. Schliesslich wird er ja auch mit allerlei Zeugs gefüttert und belohnt, auch wenn er dafür sein ganzes Leben brav arbeiten muss und nicht mehr die Zeit findet - was ihm absolut recht ist - einmal die Welt wirklich wahrzunehmen und über sie und sich selber nachzudenken. Frei von vorgegebenen Denkgrenzen natürlich.

Aus Sicht von oben sind diese Gutmenschen die ideale Manövriermasse, um ihre Gesinnung zu verbreiten, ihre Macht zu bewahren, ihre Gemauschel zu schützen und teils ihre illegales und menschenverachtendes Tun im Verborgenen zu halten. Und durch dieses Gefüge zwischen "Autorität" und dem gefolgsamen Volk lassen sie sich auch ganz gut manipulieren und lenken, ohne dass sie es merken.

Ja, der Gutmensch ist gut: Gut, um den wachwerden- und in ihre Selbstbestimmung treten wollenden Menschen ein Beispiel abzugeben, wie sie auf keinen Fall mehr sein möchten.

Wenn ein Gutmensch versucht dich anzugreifen oder gar zu beissen, dann darf du es dir auch mal erlauben, ihm einen Tatzenhieb (ohne Krallen) zu verpassen oder das Zäunchen einfach hinter dir zu schliessen. So bleibt er dort, wo er bleiben will, und du kannst ohne sein lästiges Geplänkel deinen Weg gehen, und ohne seine Welt zu bedrohen. Denn wenn du ihm keine Aufmerksamkeit gibst und beispielsweise patzige Kommentare einfach löschst, lebt ihr friedlich in unterschiedlichen Welten.

Und hier darfst du wahrscheinlich noch üben, einfach nicht in eine Argumentation einzusteigen. Einfach strikt nicht. Wenn du nämlich aus einer gewissen Augenhöhe auf einen Kommentar schaust, wirst du erkennen, was die Absicht dahinter ist, und ob der Mensch überhaupt bereit ist, eine sachliche Konversation zu führen ggf. seine Ansichten zu überdenken. Denn wo kein Wille, da gibt es auch keinen Weg, egal wie viel Liebe du in einen anderen Menschen investiert.

Dasselbe Muster lässt sich aber auch sonst bei vielen Menschen - nicht nur bei ausgesprochenen Gutmenschen - beobachten: Wenn etwas infrage gestellt wird, was wir glauben und weiter gerne glauben möchten, jedoch unser Glaube daran nicht durch eigene Erfahrung oder Verifizierung Eingang in unser Weltbild gefunden hat, neigen wir fast alle dazu, erst mal abwehrend zu reagieren. Anhand dieser eigenen Reaktion können wir - so wir denn wollen - unsere Ansichten hinterfragen und unsere Glaubenssätze genauer unter die Lupe nehmen. Ohne Pflege des eigenen Weltbildes gibt es auch keine Entwicklung. Hier ist nichts gratis.

Mit diesem Text stelle ich mich keineswegs gegen Menschen, die das typische Verhalten eines Gutmenschens - wie hier beschrieben - zeigen. Ich möchte mit ihm diese Art Muster vor Augen führen und euch inspirieren und ermutigen, genauer hinzuschauen, wenn wir solchen Menschen begegnen oder unser eigenes Verhalten beobachten wollen.