Was für eine Geschichte

06.01.2024 / Oliver Wittwer / PDF

GesellschaftPersönlich

Was für eine Geschichte, die wir kürzlich erlebt haben! Auftakt: Die Nacht zuvor fielen mir auf der Autobahn genau vis-à-vis auf der anderen Seeseite Warnblinker auf. Eine halbe Stunde später waren es zwei. Wird wohl der TCS (in Deutschland der ADAC) gewesen sein. Ich fragte mich, was das zu bedeuten hätte, und ob das ein Zeichen wäre.

Am nächsten Tag fuhren meine Frau und ich spontan "raus". Denn dort, wo wir wohnen, müssen wir erst einmal eine etwa drei Kilometer lange einspurige Felsenstrasse mit senkrechten Felswänden und zwei Felsentunnels durchfahren, um überhaupt auf die Hauptstrasse zu gelangen. Wir hatten ein angeregtes Gespräch und ich sagte noch zu ihr: Lass uns nachher weiterreden - ich muss mich auf die Strasse konzentrieren.

Tack... tack. Ich hatte einen Stein auf der Strasse übersehen und war mit beiden Rädern darübergefahren. Fünf Minuten später - das Rumpeln wurde immer stärker - fahren wir rechts ran und steigen aus: Beide Reifen links komplett platt. Einer hatte sich schon vom Felgen gelöst.

OK, noch 2 Stunden Zeit, bis das nahegelegene Pneuhaus schliesst. TCS angerufen... es würde mindestens eine Stunde dauern, aber ich solle unbedingt erreichbar bleiben, damit der Aussendienstler mich anrufen kann.

Ein paar Sekunden danach war das Handy aus, obwohl es noch ca. 13% geladen war.

Wir gehen im Regen spazieren, kommen zu einem nahegelegenen Imbissladen, und wir haben die Idee, uns etwas zu Essen zu kaufen. Ich gehe in den Imbissladen und bestelle etwas. Neben mir steht eine angeschwipste oder unter Drogen stehende Frau mit Hund, die lauthals irgendetwas von "Salami" blabbelt. OK, nicht beachten. Sie verlässt den Laden. Ein paar Sekunden später sagt der Imbissmitarbeiter zu seinem Chef etwas auf Türkisch. Dieser springt nach draussen, rennt der Frau hinterher und beginnt, sie zu schubsen.

Ich sehe alles durch das Fenster des Imbissladens. Und ich bin der einzige, der den Beginn dieser Szene beobachtet. Noch sind keine anderen Menschen da. Er hört nicht auf, sie fällt zu Boden, er stösst mit seinen Füssen gegen sie und wird dabei immer aggressiver.

"Das geht nicht", sage ich innerlich zu mir. Diese Frau mag vielleicht jemanden verbal beleidigt haben, doch das ist kein Grund, gewalttätig zu werden. Ich klopfe mit meiner Faust mit voller Kraft gegen die Scheibe, er schaut mich an, ich deute ihm mit einer energischen Handbewegung an, er solle sofort damit aufhören, das geht absolut nicht.

Er macht einfach weiter.

Ich entscheide mich und denke mir: "Nein, hier in diesem Laden esse ich nichts, nie wieder". Ich lasse alles stehen und liegen und gehe raus, bevor ich bezahlt habe und obwohl mein Essen gerade zubereitet wird.

Mittlerweile stehen 4-5 Menschen in der Nähe und beobachten das Geschehen. Aber keiner greift ein.

Meine Frau meint: "Jemand sollte die Polizei rufen". Da mein Handy leer ist und ich nun sofort zum beschädigten Auto laufen muss, um den Pannendienst-Mitarbeiter nicht zu verpassen, gebe ich dem jungen Mann, der verdattert daneben steht, eine klare Anweisung:

"Ruf sofort die Polizei, ich kann nicht, weil mein Handy leer ist. Die Frau scheint unter Drogen zu sein, aber der Imbiss-Chef hat die Frau zuerst tätlich angegriffen."

Wir gehen weiter. So langsam frage ich mich, ob ich nicht als einziger Zeuge der Polizei hätte Auskunft geben sollen?

Fünf Minuten später stehe ich beim Auto, und da sehe ich ein Polizeiauto entgegenfahren. Ich hebe etwas unsicher den Zeigefinger, doch die Polizei bemerkt es und hält mitten auf der Strasse an und lässt die Scheibe herunter.

"Kommen sie wegen der Tätlichkeit beim Bahnhof?", frage ich die Polizisten, was sie auch bejahen. So erzähle ich ihnen kurz die Situation, die ich beobachtet hatte, und hinterlasse meine Kontaktdaten. Danach kommt der Pannendienst-Mitarbeiter, er montiert die Pannenräder, wir umfahren den Feierabendverkehr über Nebenstrassen und erreichen das Pneuhaus 15 Minuten vor Geschäftsschluss. Die neuen Reifen sind exakt auf den ersten 18-Uhr Glockenschlag der Kirche fertig.

Nun habe ich es also wieder erlebt: Ich bekomme einen Tag zuvor ein "Zeichen" und frage mich nach seiner Bedeutung. Am nächsten Tag erlebe ich ein perfektes Timing mit mehreren kritischen Momenten, die aber perfekt zueinander passen:

  • Wir sind genau im richtigen Moment am richtigen Ort, um als Augenzeuge zu dienen.
  • Wir erfassen die Situation und zeigen Zivilcourage.
  • Obwohl die Möglichkeit, als Zeuge aufzutreten, eigentlich verpasst ist, erhalte ich erneut die Gelegenheit, diese "Aufgabe" wahrzunehmen.

Das einzige, was ich noch nicht verstehe, ist, wieso es uns diesmal so viel gekostet hat, um diesen kleinen "Auftrag" zu erledigen. Denn wir mussten alle vier Reifen wechseln, was uns fast 800 Schweizer Franken kostete.

Das letzte Mal, als ich so eine "von oben geführte" Geschichte erlebte und ein ertrinkendes Kind aus dem reissenden Fluss rettete, kostete es mich nichts ausser ein paar Kratzer und Prellungen.