Wieso ich nicht mehr nach Liebe strebe

30.11.2022 / Oliver Wittwer / PDF

PersönlichUnterscheidungsvermögen

In diesem Text möchte ich einige Gedanken und Erkenntnisse über die Liebe teilen, respektive vermitteln. In letzter Zeit habe ich dem Begriff Wahrheit und den dahinterliegenden Mysterien viele Spruchbilder gewidmet. Ja, ich könnte auch viel über die Liebe schreiben. Doch mit der Liebe ist das so eine Sache, wie ich das beobachte: Viele Menschen streben nach Liebe und wollen sie in ihrem Leben zum Ausdruck zu bringen. Ist doch die Liebe das Grösste und wohl auch das Wichtigste, was uns als Menschen ausmacht.

Auch ich habe viele Jahre nach Liebe gestrebt. Ich glaubte eine Zeitlang, ich hätte sie schon begriffen und würde sie bereits leben. Als ich, ausgelöst durch eine unverschuldete und finanziell bedrohliche Situation, meiner angestauten Wut begegnete, realisierte ich, dass da noch ganz viel zwischen mir und der Liebe stand, die ich doch so gerne zum Ausdruck bringen wollte. Ich erkannte, dass ich mein Leben lang Wut in mir aufgestaut hatte, ohne dass ich dies bewusst bemerkte. Das Fass einmal geöffnet, forschte ich und entdeckte noch viele weitere Schatten, die in mir wirkten. Tat ich vieles bereits aus Liebe, war da doch auch vieles dabei, was ich aus meinem Bettler-Gefühl heraus tat, wenn auch unbewusst. Ich bettelte heimlich nach Anerkennung, Wertschätzung, dem gesehen Werden, und einiges mehr. 

Seitdem strebe ich nicht mehr nach Liebe. Ich strebe vielmehr danach, meine Schatten zu erkennen und sie ins Licht zu holen. Denn ich weiss, dass wir im Kern unseres Wesens Liebe sind. Sie ist bei jedem von uns nur mehr oder weniger verschattet. Wenn ich also ausschliesslich nach Liebe strebe, werden die Schatten sie und mein Licht immer abschwächen. Ich werde gleichzeitig Bettler, oder im schlimmsten Fall ein Dieb, sein, und von anderen Menschen ihre Lebensenergie beziehen oder stehlen. Meine Fähigkeit, bedingungslos zu geben, wird immer mehr oder weniger durch meine Schatten behindert werden. 

Wenn wir also ausschliesslich nach Liebe streben, verfallen leicht in die Illusion, sie verwirklichen zu können, wenn wir nur genug danach streben. Unsere Schatten werden wir dann so gut wie möglich weiter verdrängen wollen. Denn, würden wir sie in uns anerkennen, würden sie unser Selbstbild trüben. Denn wir sind Meister darin, Schatten auszublenden und sie nach Aussen zu projizieren. Also werden wir dies weiterhin erfolgreich versuchen, und uns in ein trügerisches Selbstbild, Liebe zu sein, oder Liebe sein zu können, verstricken. Das nennen einige gerne, durchaus etwas zynisch, "Licht und Liebe-Spiritualität". Alle als negativ bewertete Eigenschaften oder Emotionen werden dabei ausgeblendet und gemieden. Doch dann verbleiben unsere Schatten in uns und wirken, eben als Schatten, aus dem Unsichtbaren und Dunklen heraus. 

Vieles, was ich tue, tue ich aus Liebe. Aus Liebe zur Wahrheit, zu den Menschen und zu unseren kleinen Geschwistern, den Tieren und Pflanzen. Ich empfinde Mitgefühl, wenn ich Menschen wahrnehme, wie sie in ihren Ängsten, ihrem Mangelgefühl, in Leid und vielem mehr verstrickt sind. Ich empfinde Schmerz, wenn ich sehe, wie wir miteinander umgehen und uns hinter Masken verstecken, und uns um unsere Lebensenergie, die fast allen mangelt, betrügen. Ich möchte meine Liebe verschenken und meinen Teil dazu beitragen, dass die Menschen wieder zu ihrer eigenen Quelle der Liebe finden. Und daher gehe ich meinen Weg durch meine Schatten. Denn wenn ich mein Licht zu zeigen und meine Liebe zu verschenken vermag, und anderen dazu ermutige, dies ebenfalls zu tun, werden wir gemeinsam mehr Liebe und mehr Wahrheit in unsere Welt bringen.