Prozesse oder nicht Prozesse?

05.03.2023 / Oliver Wittwer / PDF

SpiritualitätUnterscheidungsvermögenInspiration

Manche Menschen scheinen extreme Gefühlszustände oder emotionale Extremsituationen automatisch mit "Prozessen" gleichzusetzen. Doch sind das wirklich automatisch immer "Prozesse"? 

Wenn man diese Zustände einfach annimmt, sie "über sich ergehen lässt", oder sich als Trostpflaster ihnen oder sich einen Stempel aufsetzt, à la "ich trage das für die Welt", "ich mache gerade einen Transformationsprozess durch", "ich bin ganz toll, dass ich das so fühle und damit klarkomme" oder "es ist genau richtig, dass ich das jetzt fühle", dann darf ich mich fragen, ob ich die Botschaft dieser Emotionen oder Gefühle wirklich verstanden habe? Habe ich sie wahrhaftig wahrgenommen, erkannt und angenommen? 

Denn Gefühle und Emotionen haben immer eine Ursache in uns selber. Sie zeigen, dass da in uns unter der Oberfläche etwas reagiert und endlich gesehen werden will. Seien es Widerstand, verdrängte Aspekte von uns, die sich zeigen wollen, Glaubenssätze, die wir immer noch festhalten wollen, oder Ängste. 

Wenn wir diese Gefühle und Emotionen nicht als Anlasse und Chance nehme, wirklich hineinzufühlen und unsere Ansichten und Glaubenssätze zu hinterfragen, wenn wir nicht bereit sind, unsere Ausrichtung zu verändern, dann sind das meiner Erkenntnis nach keine Prozesse. Denn dann laufen sie ins Leere und werden sich immer wieder wiederholen. Solange, bis wir bereit sind, hinzuschauen. 

Wenn ich bei mir selber bemerke, dass mich etwas triggert, bewegt, aufwühlt oder stresst, mache ich das mittlerweile wie folgt: Ich anerkenne, dass da etwas in mir in den Widerstand geht. Ich akzeptiere es, und ich entscheide mich, dass ich die Botschaft dahinter empfangen möchte. Aber ich gebe mir die Zeit, immer mal wieder hineinzufühlen und offenzubleiben für das, was sich mir zeigen will. 

So vergehen manchmal ein paar Stunden, manchmal ein paar Tage. Und manches Mal kommt eine neue Situation, die mich erneut einen Impuls gibt. Und dann kommen irgendwann die Erkenntnisse - was es mit mir zu tun hat. Was ich in mir vor mir verborgen gehalten hatte. 

Und diese Erkenntnisse verändern dann meine Wahrnehmung, mein Fühlen, und auch meine Reaktion und Handeln in zukünftigen Situationen. Weil ich mich entschieden habe, neu anders damit umzugehen. 

Also ohne Erkenntnisse und Veränderung kein Prozess.