Wir glauben zu wissen, aber wissen nicht, dass wir nur glauben

12.07.2021 / Oliver Wittwer / PDF

WeltbilderAnalysenGlaubenssätzeUnterbewusstsein

Das Wort "Glaube" besitzt unterschiedliche Bedeutungen. Meistens wird es verwendet um auszudrücken, wenn man etwas nicht weiss, es jedoch vermutet. Beispielsweise "Ich glaube morgen scheint die Sonne". Eine etwas ernstere Bedeutung besitzt dieses Wort im Kontext von Religiosität. Hier wird es als Ausdruck des uneingeschränkten Vertrauens in bestimmte religiöse Leitlinien verwendet. Beispielsweise "Ich glaube, dass die Bibel Gottes Wort ist". Die genau gleiche Bedeutung kann es auch im antireligösen Kontext besitzen: "Es gibt keinen Gott". In diesen Fällen wird einem Leitsatz, ähnlich wie einem Axiom in der Mathematik, uneingeschränkte Gültigkeit zugemessen, obwohl sein Wahrheitsgehalt in der Regel nicht bewiesen werden kann. Ein solcher Glaube an einen Leitsatz ist meistens bewusst gewählt. 

Nun gibt es aber auch die unzähligen Glaubenssätze, an die Menschen unbewusst glauben. Um zu verdeutlichen, was hier mit Glaubenssätzen gemeint ist, werde ich dies etwas ausführlicher erläutern: 

Wir nehmen unsere Welt nur unmittelbar über unsere Sinne wahr. Auch das Feedback unserer Interaktionen mit der Welt erleben wir ausschliesslich mittelbar über unsere Sinne. Um in dieser Welt zu existieren und sinnvoll mit ihr zu interagieren hat unser Gehirn seit der Geburt Verknüpfungen und Strukturen geschaffen, welche die für uns relevanten Aspekte dieser Welt begreifbar erscheinen lassen. Wir haben beispielsweise gelernt, dass Gegenstände nach unten fallen, wie sie sich anfühlen und welche Eigenschaften sie besitzen. Wir haben gelernt, wie Menschen auf gewisse Verhaltensweisen reagieren. In der Familie haben wir soziale Verhaltensweisen erlernt und in der Schule massenhaft "Wissen" auswendig gelernt.

Jedoch kaum etwas davon wurde von uns eingehend auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüft. Es wurde einfach geglaubt. Die wenigsten Menschen hinterfragen all die abgespeicherten Informationen und prüfen, ob sie denn wirklich wahr sind. Zugegeben, es erscheint sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, in diesem Unterfangen Erfolg zu haben. Und doch gibt es einen Schlüssel, um hier Ordnung zu schaffen. 

All diesen Informationen schenken wir also in der Regel Glauben - wir halten sie für wahr. Dazu kommt, dass sich gewisse Wahrheiten unserer Welt immer wieder verändern. So sind wir am Ende vollends verwirrt und klammern uns an gewisse Wahrheiten, um wenigstens das Gefühl von einem Halt sowie Beständigkeit zu bewahren. 

Das Problem mit fast allen diesen Wahrheiten ist, dass sie für uns keinen echten Wahrheitsgehalt besitzen, da wir sie nie überprüft haben. Wir haben sie aber als "Wahrheiten" in unseren Köpfen abgelegt: Wir glauben zu wissen, wissen aber nicht, dass wir lediglich glauben. 

Alleine die grundlegende Erkenntnis, dass wir praktisch alles, was wir als vermeintliches Wissen abgespeichert haben, lediglich Glaube ist, kann uns von der "Illusion des Wissens" befreien, und uns hin zur Erkenntnis führen, was echtes "Wissen" ist. Zugegeben, diese Erkenntnis, sollten wir uns entscheiden, sie als wahr zu erkennen, wird unser Verständnis über die Welt radikal verändern. Wir werden erkennen, dass wir kaum etwas wussten und wissen. Nach dem Motto "Ich weiss, dass ich nichts weiss". 

Im Gegenzug wird diese Erkenntnis unser Weltbild dahingehend öffnen, dass wir fähig werden, Wahrheit von Lüge und Illusion zu unterscheiden. Wir beginnen nun unser bisheriges vermeintliches Wissen lediglich als "Hypothesen" zu betrachten, mit der wir so lange arbeiten können, wie sie sich bewähren. Dadurch werden wir offen für Veränderungen in unserem Weltbild. Wir halten nicht mehr an vermeintlichen Wahrheiten, die wir nun als "Glaubenssätze" erkennen, fest. 

Eine wichtige Erkenntnis in diesem Zusammenhang möchte ich hier noch mitgeben: Ich habe mich oft gefragt, wieso wir Menschen so vehement an unseren Glaubenssätzen festhalten und sie so stark verteidigen. Mir wurde bewusst, dass wir uns bei jedem Glaubenssatz, den wir übernommen hatten, dazu entschieden hatten, ihn glauben zu WOLLEN. Auch wenn es meistens unbewusst geschah, waren es Entscheidungen. Unbewusste oder vergessene Entscheidungen sind Befehle an unser Unterbewusstsein, einen bestimmten Willen mit ganzer Kraft aufrechtzuerhalten und auszuführen. Sie werden von unserem Unterbewusstsein wie von einer treuen und starken Armee von Soldaten und Wächtern ausgeführt. 

Mit diesem Wissen können wir uns unseren Glaubenssätzen zuwenden und fragen, ob wir sie noch glauben WOLLEN. Besteht kein triftiger Grund, weiterhin daran festzuhalten, können wir uns entscheiden, sie nicht mehr glauben zu wollen. Wir können sie ja noch als Hypothesen behalten. Dadurch wird unser innerer Beobachter aktiv und überprüft immer wieder, ob sie sich noch bewähren. Diese veränderte Perspektive in unserem Bewusstsein ist revolutionär und wird unsere Erkenntnisfähigkeit und Wahrnehmung von der Welt nachhaltig transformieren.