Glaubenssätze und Glaube sind nicht dasselbe

17.01.2023 / Oliver Wittwer / PDF

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Unter einem Glaubenssatz kann man das Festhalten an einer mentalen Vorstellung verstehen. Die Essenz von Glaubenssätzen lässt sich in den folgenden Aussagen erfühlen: "Ich will, dass es so ist", "Es muss so sein", "Es darf nicht anders sein". Wir Menschen glauben unbedingt an unsere Glaubenssätze, und wir tun alles dafür, dass sie sich in unserer Realität, in unserem Leben, verwirklichen und bestätigen. Wir wollen unsere Glaubenssätze für wahr halten. Glaubenssätze können jedoch rein fiktiv sein. Das heisst, die durch Glaubenssätze festgehaltenen Vorstellungen haben dann nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Auch wenn sie mehr oder weniger der Wirklichkeit entsprechen sollten, wirken Glaubenssätze in uns so, dass wir durch sie nur ein Zerrbild, nur ein Abbild der Wirklichkeit wahrnehmen können. Sie sind die Filter, durch die wir die Welt, respektive die Wirklichkeit, wahrnehmen. Ein Glaubenssatz ist jedoch nie Wirklichkeit. Er ist immer nur eine Vorstellung darüber, wie die Wirklichkeit sein könnte, oder nach unserer Vorstellung sein soll. 

Im Gegensatz dazu besitzt das Wort Glaube für mich mittlerweile die folgende Bedeutung: Wenn ich etwas glaube, gehe ich lediglich davon aus, dass sich etwas so oder so verhält. Dass etwas so oder so ist. Doch ich halte es nicht fest, und ich verwechsle es nicht mit Wahrheit oder Wirklichkeit. Der Glaube über etwas entspricht dann im Grunde nur einer Arbeitshypothese, die den Zweck erfüllt, mich in dieser Welt zu orientieren. Ich glaube so vieles, doch ich weiss es nicht wirklich. Dessen bin ich mir bewusst. Doch es hilft mir, in dieser Welt klarzukommen. Ich schreibe bewusst "Glaube über etwas", und nicht "Glaube an etwas". Denn dann wäre es bereits wieder ein Glaubenssatz, den ich unbedingt für wahr halten würde. 

Das Problem mit Glaubenssätzen besteht darin, dass wir sie unbedingt für wahr halten wollen. Auch wenn sie sehr präzise mit der Wirklichkeit übereinstimmen, sind es dennoch nur Konzepte und mentale Konstrukte, die wir mit der Wirklichkeit verwechseln. Wenn wir dieser Verwechslung unterliegen, dann begleitet uns immer die Angst, sie könnten sich als unwahr herausstellen. So müssen wir sehr viel Energie investieren, um sie aufrechtzuerhalten und sie immer wieder zu bestätigen. Oder um zu verhindern, dass sie "zerbrechen", sich als unwahr herausstellen. Ängste sind ebenfalls meistens Glaubenssätze: Ich glaube, dass wenn dieser Glaubenssatz, diese vermeintliche Wahrheit, sich als nicht wahr herausstellen sollte, dann muss ich leiden, dann ist es schwer oder belastend, damit umzugehen, usw. Also zusammengefasst: Alle Glaubenssätze sind mit Ängsten verbunden, weil wir durch sie ein mentales Konstrukt für die Wirklichkeit halten, und sie jederzeit "zerbrechen" könnten. Und umgekehrt sind Ängste ebenfalls nur Glaubenssätze, die wir um jeden Preis aufrechterhalten wollen und glauben, aufrechterhalten zu müssen. Weil wir nicht leiden wollen, und wir glauben, wir würden leiden, wenn dieses oder jenes eintreten würde. 

Man kann die Gesamtheit unserer Glaubenssätze als Ego bezeichnen. Das passt gut. Denn sie sind immer nur Fiktion. Illusionen unseres Bewusstseins, mit denen wir uns identifiziert haben. Illusionen, die uns von der Wahrnehmung der Wirklichkeit trennen. Eine fiktive kleine mentale Welt, in der wir uns eingerichtet und eingenistet haben, und die wir für die Wirklichkeit halten. Doch sie ist nur eine von uns geschaffene virtuelle Realität. 

Wenn es uns gelingt, uns von allen Glaubenssätzen zu lösen, erwachen wir in die Wirklichkeit. Dann erleben wir, wer wir wirklich sind. Wir sind reines Bewusstsein. Die Realität, mit der wir uns identifiziert hatten, wirkt dann nur noch wie ein abgelegtes enges mentales Korsett. Wir können unser Bewusstsein mit Wasser vergleichen: Wasser in flüssigem Zustand ist formlos, es füllt jeden Raum und passt sich allen Gegebenheiten an. Unser Bewusstsein ohne das Ego-Konstrukt ist vergleichbar mit flüssigem Wasser. Unsere Glaubenssätze entsprechen dann dem Wasser in gefrorenem Zustand. Stell dir eine gefrorene Eisschicht in einem Bach vor, oder Eiszapfen an einer Felswand. Sie sind permanent der Gefahr ausgesetzt, zu brechen. Und wir sperren uns gegen dieses Zerbrechen und wollen daher um jeden Preis gefroren bleiben, weil wir diesen Zustand aufrechterhalten wollen.

Sobald wir uns ergeben, loslassen, tauen wir auf. Und dann sind wir selber der Fluss des Lebens. Dann sind die Stationen, die wir durchlaufen, die Erfahrungen, die wir erleben, einfach nur Zustände, die unser Sein ganz erfüllen. Mal sprudeln wir, mal gluckern wir, mal tosen wir, mal ruhen wir. Es gibt dann nichts mehr festzuhalten. Denn wir erkennen und fühlen, dass wir Ausdruck dieses allumfassenden Seins sind, welches wir Leben, Gott oder auch Universum nennen.