Die Anatomie von Glaubenssätzen

25.12.2023 / Oliver Wittwer / PDF

PartnerschaftUnterscheidungsvermögenGlaubenssätze

Ich bin in meiner Entwicklung und meinen Forschungen an einen Punkt angelangt, wo ich Glaubenssätze und die damit verbundenen Ängste bei anderen und auch bei mir selber wahrnehmen und lesen kann. Ich verstehe die Art, wie sie wirken, bis tief ins Unterbewusstsein hinein. In Texten, Gesprächen, Post, oder persönlichen Gesprächen nehme ich deren Anzeichen wahr und erkenne die Glaubenssätze dahinter. Manchmal beobachte ich eine ganze Kaskade an verknüpften und miteinander in Beziehung stehenden Glaubenssätzen, wie sie gegenseitig und ihre eigene Existenz und Existenzberechtigung zu schützen versuchen.

Einen Glaubenssatz kann man wie folgt umschreiben: Es handelt sich um eine Aussage, an die ein Mensch unbedingt glauben will. Der Mensch ist sich dessen nicht bewusst. Sein Unterbewusstsein tut alles, damit dieser Glaubenssatz weiter existieren kann und regelmässig bestätigt wird. Wird ein Glaubenssatz in seiner Existenz respektive Gültigkeit bedroht, wird Widerstand und der Wunsch zu kontrollieren aktiviert. Die Vorstellung, dass die Wirklichkeit anders sein könnte, als ein Glaubenssatz es vorschreibt, ist für unser Unterbewusstsein existenzbedrohlich und löst starke Emotionen der Angst aus. Die Folgend äussern sich in Übergriffigkeit, Aggression und führt zu Manipulationsversuchen und vielem mehr. Glaubenssätze wirken meistens nicht quantitativ, das heisst, schon die leiseste und harmloseste Bedrohung des Glaubenssatzes lösen eine überproportional starke Abwehrreaktion aus.

Im Folgenden gebe ich ein Beispiel von einem Set von drei Glaubenssätzen, zeige ihre Wirkweise und die daraus entstehende Dynamik in einer Beziehung auf:

Partner A hat folgende Glaubenssätze:

  1. "Es muss im Haushalt alles immer sofort genau so sein, wie ich das für richtig halte!"
  2. "Wenn der andere etwas im Haushalt tut, ist es meistens falsch."
  3. "Der andere sollte auch mehr Verantwortung übernehmen."

Der erste Glaubenssatz hat A vermutlich von seiner Mutter übernommen hat.

Sobald etwas im Haushalt nicht mehr so ist, wie es "sein sollte", wird der Glaubenssatz aktiv und erzeugt ein Gefühl von "Müssen". So fühlt sich A gezwungen, so schnell wie möglich die Ordnung gemäss der eigenen Vorstellung wieder herstellen. Denn er glaubt, dass es so sein müsste.

Beim zweiten Glaubenssatz handelt es sich vermutlich um eine Prägung aus "negativen" Erfahrungen mit dem Partner B oder früheren Partnern. Dass dieser Glaubenssatz entstehen konnte, hat möglicherweise tatsächlich viel mit der in der Vergangenheit fehlenden Verantwortung eines Partners im Haushalt zu tun. Bei der Entstehung dieses Glaubenssatzes war der erste Glaubenssatz vermutlich ebenfalls massgeblich beteiligt.

Beim dritten Glaubenssatz handelt es sich weniger um einen typischen Glaubenssatz, sondern eher um eine Erwartungshaltung an den Partner.

Beginnt nun Partner B damit, seine bisher passive Haltung zu verlassen und Verantwortung zu übernehmen, passiert Folgendes:

Sobald der Partner A das bemerkt, wird Glaubenssatz 2 aktiv. Die Vorstellung ist bedrohlich, denn sie aktiviert Glaubenssatz 1. Zusammen aktivieren sie das Kontrollprogramm "Ich muss verhindern, dass der Andere Unordnung erzeugt und etwas Schlimmes passiert". Also beginnt er den anderen anzugreifen, zu dominieren oder ihn zu manipulieren. Gelingt das Verhindern, auch auf Kosten eines Streits, so können die beiden Glaubenssätze 1 und 2 sich wieder in den Sleepmodus versetzen, denn Nr. 1 ist mit ein bisschen eigener Anstrengung schnell befriedigt, und Nummer 2 hat sich ebenfalls wieder "bestätigt". Übrig bleibt die nicht befriedigte Erwartung Nummer 3.

Auf diese Weise können diese drei Glaubenssätze, solange sie nicht erkannt und aufgelöst werden, dazu führen, dass sich eine Beziehung permanent in diesem Spannungsfeld der unerfüllten Erwartung eines Partners bewegt.