Bin ich frei, wenn ich NICHT muss?

04.01.2023 / Oliver Wittwer / PDF

GesellschaftUnterscheidungsvermögenÄngste

Wer kennt nicht Aussagen wie "Ich MUSS gar nichts", "Ich MUSS nicht ...", oft als Reaktion auf einen gutgemeinten Rat, eine Belehrung oder auch einfach auf eine andere Aussage? Und wer von uns hat das nicht auch schon selber einmal gesagt? * 

Obwohl diese Aussagen wahr sind, und jeder Mensch das Recht hat, sie auszusprechen, steckt dahinter oft etwas anderes, als es unser Verstand den Worten nach versteht. "Ich muss nicht" im gängigen Sprachgebrauch bedeutet, dass ich nicht gezwungen bin, etwas zu tun. 

Doch lies und fühle einmal zwischen den Zeilen. Spüre die Energie, die hinter den Worten steckt. Nimm bewusst den Menschen wahr, und was der Beweggrund seiner Worte und Handlungen ist. Fühlst du die Energie der starken Abgrenzung und des radikalen Zurückweisens in seinen Worten? 

Jetzt nimm einmal die Worte auseinander: "Ich muss" und "nicht ...". Welche Bedeutung verbirgt sich dahinter? Ja, so betrachtet bedeutet es, dass ich mich gezwungen fühle, dieses oder jenes NICHT zu tun. Ich MUSS ES "nicht tun". Ich DARF es NICHT tun. Ich erlaube mir nicht, frei zu entscheiden, ob ich es tun möchte oder nicht. Denn ich auferlege mir SELBER den Zwang, es nicht tun zu dürfen. Denn ich glaube, das GEGENTEIL tun zu MÜSSEN. 

In Begegnungen mit oder beim Beobachten von Menschen ist mir dieser Mechanismus immer mal wieder aufgefallen. Ich habe beobachtet, dass Menschen, die sich auf diese Weise so stark genötigt fühlen, sich abgrenzen zu müssen, nicht mehr in der Lage sind, frei zu entscheiden. Es scheint, dass in ihnen eine so starke Angst wirkt, sie würden sich unterordnen, ihr Wille würde vergewaltigt werden, usw., wenn sie die Ansicht oder den Rat des Anderen stehe lassen, darüber nachdenken oder ihn gar annehmen würden. 

Indem sie sich so stark "abgrenzen", sind sie NICHT FREI, sondern sie sind gewzungen, das Gegenteil zu tun. Also das Gegentil von frei sein oder frei und souverän entscheiden können. 

Der Kern dieser Angst scheint meines Erachtens darin zu liegen, dass diese Menschen stark traumatisiert sind durch elterliche oder gesellschaftliche Autorität, und sie sich in ihrem Leben lange Zeit angepasst und untergeordnet hatten. Nun wollen sie sich davon befreien. Doch das "Programm" im Unterbewusstsein besitzt leider immer noch die volle Wirkung, einfach umgepolt. 

Wenn wir erkennen, dass die Worte des anderen einfach eine Ansicht, ein Wunsch, eine Erwartung eines anderen Menschen sind, und wir als freie Wesen ihm dies zugestehen können, aber genau so uns selber: Er darf denken, glauben und erwarten, was er will. Und genauso darf ich mir erlauben zu denken und zu glauben, was ich will. Dann sind ein Rat oder eine Belehrung eines anderen Menschens einfach ein Angebot für mich. Ob ich etwas damit mache oder nicht, darf ich dann selber frei entscheiden. 

Erlaube ich mir, das so zu sehen und zu fühlen, dann haben andere Menschen keine Macht mehr über mich. Denn dann erlaube ich mir, für mich das anzunehmen oder zu tun, was ich von innen, aus mir selbst heraus, will. Nicht mehr das, was andere von mir erwarten. Und auch nicht mehr das Gegenteil. 

* Hinweis zu diesem Text: Hinter den Ausführungen in diesem Text stehen ein jahrelanger Prozess der Auseinandersetzung mit einem einigermassen nahestehenden Menschen. Lange haben uns dieses Muster zugesetzt, aufgerieben und uns mit uns selber konfrontiert. Die Erkenntnisse in diesen Text bergen einen wesentlichen Schlüssel zur Erlangung der eigenen mentalen Freiheit. Gelingt es, diese Erkenntnisse zu reflektieren, zu fühlen und umzusetzen, werden sie uns massgeblich transformieren und uns einen grossen Sprung in unsere mentale Freiheit ermöglichen.